Experimente, Pilot- oder Demonstrationsprojekte sind in den letzten Jahren zunehmend zu einem zentralen Instrument der Innovationspolitik geworden, ja sogar zu einem zentralen Kennzeichen und wissenschaftsgesellschaftlichem Dispositiv‹ unserer ›experimentellen Gesellschaft‹ (Ansell und Bartenberger 2016; Böschen et al. 2017; Engels et al. 2019). Während solche Projekttypen traditionell vor allem dem Testen und Hochskalieren von innovativen Produkten und Techniken von der Laborebene auf eine industrielle Ebene dienten, hat ein zunehmender innovationspolitischer Fokus auf gesellschaftliche Herausforderungen wie den Klimawandel Experimente mit alternativen sozio-technischen Konstellationen und in alltäglichen, anwendungsnahen Kontexten in den Vordergrund gerückt (Kivimaa et al. 2017). Räumlich begrenzte Versuche mit neuen Mobilitätsformen (z.B. autofreie Stadtteile), energieautarke Regionen oder Feldversuche zur Anwendung von autonomen Fahrzeugen sind Fälle, bei denen es nicht nur um das Testen von Produkten geht, sondern ebenso um Erfahrungen mit neuen sozialen Praktiken und institutionellen Veränderungen. Was hier auf dem Prüfstand steht, sind also ganze sozio-technische Arrangements, gesamte ›Ökosysteme‹ von z.B. Mobilität, durch die soziale Akteur*innen zu Stakeholdern des Experiments werden und zukünftige Handlungsmöglichkeiten auf dem Spiel stehen (Marres 2020). Dieser experimental turn (Overdevest et al. 2010) geht einher mit dem wachsenden Einfluss von Konzepten wie sozio-technische Transitionen (z.B. des Energie- oder Verkehrssystems), neuen ›missions-orientierten‹ Innovationsprogrammen, die sich an gesellschaftlichen Herausforderungen (grand challenges) orientieren, etwa dem neuen Forschungsrahmenprogramm der Europäischen Union, und einer wachsenden Aufmerksamkeit für ›soziale Innovationen‹ und ›Systeminnovationen‹ (Diercks et al. 2019). Mit der Einbettung solcher Experimente in reale Nutzungskontexte geht auch eine Betonung partizipativer Elemente einher, durch die Nutzer*innen und andere für das Experiment relevante Akteursgruppen stärker in die Evaluierung, Wissensgenerierung und aktive Gestaltung von Technologien und ihren Anwendungskontexten einbezogen werden sollen (Delvenne und Macq 2020). Trotz dieser partizipativen Rhetorik und des Anspruchs, soziale Lernprozesse für eine Vielzahl von Akteur*innen zu ermöglichen, wurde der tatsächliche Beitrag solcher Experimente zu technischen und gesellschaftlichen Veränderungen nur in wenigen Fällen empirisch untersucht. Dieses Kapitel will sich kritisch mit der neuen Dominanz von Experimenten in der Innovationspolitik auseinandersetzen und stellt sich die Frage, was in der Praxis solcher Experimente eigentlich passiert und inszeniert wird. Handelt es sich tatsächlich um eine weitgehend entpolitisierte und konfliktfreie Strategie zur Entwicklung neuer klimafreundlicher Energie- und Verkehrsinfrastrukturen und einer nachhaltigeren Ökonomie und Gesellschaft? Oder werden in solchen Experimenten bevorzugt bestimmte Arten von Wissen produziert, die bestimmten Akteursgruppen eher zugutekommen als anderen? Wieviel Einfluss haben Nutzer*innen und Bürger*innen tatsächlich in der Praxis dieser Projekte? Oder reflektieren die Settings und Rahmenbedingungen von Experimenten dominante gesellschaftliche Strukturen und stärken vielleicht bestehende Machtverhältnisse mehr, als dass sie neue gesellschaftliche und technische Konstellationen ermöglichen?