Die Debatte um Gedankenexperimente, die seit den späten 1980ern und frühen 1990er Jahren Fahrt aufgenommen hat, war lange Zeit vornehmlich auf Fragen der Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie beschränkt. Der nachstehende Aufsatz reiht sich demgegenüber in die Liste neuerer Arbeiten ein, die auf die Rolle von gedankenexperimentellen Techniken in anderen Bereichen wie etwa der Literatur hinweisen. Obwohl ich im ersten Teil meines Artikels wiederum von der Physik ausgehe, um einige grundlegende Funktionsweisen von Gedankenexperimenten zu illustrieren, geht es mir in weiterer Folge um den Nachweis, dass Literatur von sehr ähnlichen Funktionsweisen Gebrauch macht, um einen epistemischen Mehrwert zu erzielen. Als konkretes literarisches Beispiel dient mirKapitel 100 des Mann ohne Eigenschaften, in dem sich Musil—so meine These—in bester gedankenexperimenteller Manier mit Fragen der Mathematik und Metamathematik beschäftigt.